AIR BORNE

Kunst im Aerodynamischen Park der Wissenschaftsstadt Berlin-Adlershof

Foto Stefan Krüskemper

Kunst vor Ort Helga de la Motte-Haber 

Kunst im öffentlichen Raum, sei es ein schön geschmückter Brunnen oder ein majestätisches Reiterstandbild, prägt schon seit Jahrhunderten Stadtlandschaften. Auch Kunst als öffentlich gestalteter Raum, so zum Beispiel die Gartenarchitektur, kann auf eine lange Tradition zurückblicken.

Seit einigen Jahrzehnten haben jedoch Durchgangsorte, Plätze, die zum Überqueren gedacht sind, das Interesse von Künstlern auf sich gezogen. Environments und Installationen, die zum Verweilen einladen, verleihen ihnen den Charakter von Kunst als öffentlichem Raum. Sie überformen einen Ort, sind jedoch nicht beliebig hinzugefügt, sondern spezifisch auf ihre Umgebung bezogen. Der Ort selbst wird Teil der künstlerischen Gestaltung. Herkömmliche ästhetische Kategorien gewinnen dadurch eine neue Dimension, weil sie nicht mehr einem autonomen künstlerischen Objekt zugeschrieben werden können. Was als authentisch erfahren wird, ist in eine umfassende Interpretation der räumlichen Disposition eingebettet. Bilder können von einem Museum an ein anderes verliehen werden, Musik kann in verschiedenen Sälen gespielt werden. Ortsspezifische Kunst hingegen ist einmalig an ein Hier der Erfahrung des Rezipienten gebunden.

Oft handelt es sich um multisensorische Setzungen, so etwa, wenn eine visuelle Gestaltung mit Hörereignissen verbunden wird. Denn mit Klängen lassen sich Atmosphären emotional verdichten. Das Auge distanziert, es erlaubt den eigenen Standort abzuschätzen; die »Eindringlichkeit« des Ohres hingegen intensiviert die partizipatorischen Prozesse des Besuchers. Ortsspezifische Installationen thematisieren stärker als traditionelle Kunst die Wahrnehmung des Rezipienten.

Um einem Ort gerecht zu werden, der einmal entscheidend von seiner Geräuschkulisse geprägt wurde, spielte die Idee, mit Klang zu arbeiten, für den von der Architektur herkommenden Künstler Stefan Krüskemper eine große Rolle. Für die Neukonzeption der Wiesenfläche des Aerodynamischen Parks in Berlin-Adlershof – dem Gelände, auf dem 1909 der erste Motorflughafen Deutschlands eröffnet wurde – lud Krüskemper den Wiener Komponisten Karlheinz Essl ein, erprobt in allen musikalischen Gattungen, auch elektroakustischer Musik und Klanginstallation, und entwickelte in der Zusammenarbeit mit ihm eine Lösung, bei der visuelle und akustische Komponenten eng miteinander verbunden werden.

Die 15 roten ellipsenförmigen und 60 Zentimeter hohen Gebilde, die wie Markierungen über die Fläche verteilt sind, wirken geheimnisvoll abstrakt und schaffen Aufmerksamkeit für die umgebenden Baudenkmale der Luftfahrt wie auch für die Gebäude, die im Lauf der Zeit neu hinzukamen. Sind es Boviste, die aus der Wiese sprießen und anstelle von Samenstaub Klang in ihre Umgebung zerstäuben? Oder sind es Flugkörper von Außerirdischen, die in ihrem Inneren flüstern? Funktional gesehen handelt es sich um stabile Lautsprechergehäuse, die den roten Kugellautsprechern der französischen akusmatischen Musik verwandt sind. Sie verweisen nicht nur auf die Bauwerke des Ortes; sie laden durch eingravierte doppelsinnige Texte zum Verweilen ein, die sich einerseits auf verschiedene Aspekte der Luftfahrt beziehen und andererseits zur Reflexion des eigenen Selbst auffordern: »Im Fluge sein. Mut wie Luft.« Diese Inschriften schweben jeweils wie ein Motto über den Klängen, bearbeiteten historischen Aufnahmen des Deutschen Rundfunkarchivs, die aus ihrem Inneren dringen. In den oft langen Pausen zwischen den Klängen werden die heutigen Geräusche des Platzes zum Sprechen gebracht.

Mehr als bei anderen Klanginstallationen handelt es sich hier um einen Umgang mit Klang und Zeit, der im Sinne des erweiterten Kompositionsbegriffs, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, den schwierigen Balanceakt zwischen strenger Konstruktion und überraschendem Zufall wagt. Die Granularsynthese, der das Archivmaterial unterworfen wird, das heißt die Zerstückelung eines Klangs in ein Granulat, dessen »Körner« sich durch Zufallsoperationen neu mischen, zeigt jene Kontrolle über das Unkontrollierbare, die einerseits größtmögliche Homogenität des Klanggeschehens (alles aus einer Quelle) bei andererseits maximaler Variabilität (unendlich viele Permutationen) bewirkt. Zusätzlich wurden die komplizierten Zufallsprozesse in der Software von Karlheinz Essl so programmiert, dass fließende, musikalische Übergange entstehen können.

Wer sich »luftgetragen« und lustgetragen durch diese Installation bewegt, wird in eine Szenerie versetzt und zum Mitspieler erhoben. Da die Textgravuren halbkreisförmig auf den roten Ellipsoiden angebracht sind, muss man um diese herumwandern, um sie zu lesen. Bis zu einem Abstand von wenigen Metern erinnert der Klang an das jeweilige Motto. Wenn die Lautsprecherklänge pausieren, findet eine Art Verwandlung statt: Man wird auf Höhe der akustischen Atmosphäre des Realraums erhoben.

Mögen auch die Wege durch die Gruppierung der Ellipsoide wie durch Meilensteine markiert sein, so sind sie doch individuell wählbar – und mit ihnen der Bedeutungsraum, den man sich aneignen kann. Die 15 gravierten Texte lassen sich in drei mal fünf Stationen einteilen: Flug – Höhe – Mut / Boden – Erde – zerbrechen / Strömung und Druck – nachgeben – nicht nachgeben. Der Besucher schafft im Umhergehen, Übergehen und Verweilen seine je eigene Geschichte, auch wenn ihn ab und an ein kurzes lautes Signal inmitten der meist leise flüsternden und sprechenden roten Körper aus seinen Gedanken reißt.

Kunst vor Ort besitzt keinen institutionellen Rahmen, wie er für die traditionelle Kunst durch Museen und Konzertsäle gegeben ist. Wer zufällig in ein solches Environment gerät, wird kommunikativ einbezogen, ohne genau zu wissen, in welchen Bedeutungsraum er eingetreten ist. Es ist sehr selten, dass die zwangsläufig ausgelösten Orientierungsreaktionen des Besuchers von den Künstlern mitbedacht werden. Anders bei AIR BORNE, wo die Vermittlung an das Publikum von vornherein durch eine Publikation und eine Website, die das Projekt begleiten, eingeplant wurde. Ein Rahmen wurde damit geschaffen, der es ermöglicht, den unmittelbaren emotionalen Eindruck der Installation durch kognitives Wissen zu erweitern.

Vorwort
Wettbewerb
Kunst vor Ort

Die Idee
Der Ort
Die Klänge
Das Archiv
Die Objekte
Die Autoren

Publikationen
Dank
Kontakt

Ein Projekt von
Stefan Krüskemper, buero für integrative kunst

Unter Mitwirkung von
Karlheinz Essl und Trillian GmbH

Beauftragt vom
Land Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

Standort
Aerodynamischer Park, Campus Adlershof der Humboldt-Universität, Newtonstr. 14–18, 12489 Berlin

Die Klanginstallation ist dauerhaft installiert und jederzeit frei zugänglich.

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Copyright VG Bild-Kunst, Bonn 2006, für die Werke von Stefan Krüskemper, buero für integrative kunst.
Copyright 2006 für die Künstler und die Autoren.
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